Martinskirche war zweimal ausverkauft: Kammerchor Müllheim mit Chorleiter und Komponist Albrecht Haaf zeigte sich in Bestform (veröffentlich in der Badischen Zeitung von Dorothee Philipp am 23. Dezember 2019)
MÜLLHEIM. Zweimal ausverkauftes Haus: Das Projekt Tangomesse, das der Kammerchor Müllheim mit seinem Chorleiter Albrecht Haaf in diesem Jahr als Konzert zur Vorweihnachtszeit in der Martinskirche aufgelegt hat, kann schon wegen der Zuhörerzahlen als großer Erfolg gewertet werden.
Doch da war noch viel mehr: Mit der besonderen Spiritualität und der von lateinamerikanischem Temperament gefärbten Stilistik hat diese Musik ihr Publikum mitten ins Herz getroffen. Die
„Misatango“ forscht mit ihrer expressiven musikalischen Aussage entlang des bekannten lateinischen Messetextes den Geheimnissen des Lebens und der menschlichen Sehnsucht
nach Erlösung und Geborgensein in Gott nach. Eine hohe Frauenstimme hebt in kurzen Solopassagen die Abschnitte hervor, die besonders vom Leuchten der göttlichen Liebe durchglüht sind: Der
leidende Gott, der die Sünde der Welt trägt (Qui tollis peccata mundi), das Geheimnis der Menschwerdung Gottes im „Incarnatus“, der Glaube an den Heiligen Geist oder die Adventsbotschaft „…qui
venit in nomine domini“ – die Solistin Simone Schwark verlieh mit ihrem lupenreinen, fast vibratolosen Gesang diesen sparsam eingestreuten und auf virtuose Darstellung gänzlich verzichtenden
Passagen eine spirituelle Innigkeit, die mehr vermittelte als jede Predigt.
Weitere Elemente, die dieser Musik Glanz und Tiefe verliehen, waren das Bandoneon von Wolfgang Weniger mit seinem beseelten obertonreichen Klang und das sanfte Pochen des gezupften Kontrabasses
von Wolfgang Fernow. Das Klavier (Jutta Haaf) und das Streicherensemble rundeten den Instrumentalklang ab. Der Chor zeigte sich in gewohnter Bestform, agil, aufmerksam und sowohl dynamisch als
auch rhythmisch hervorragend differenzierend. Wie Herbstblätter sanken die absteigenden Motive des Kyrie zu Boden. Das ekstatische Amen nach dem in Pianissimo-Tiefen Verharren des „miserere
nobis“ am Schluss des Kyrie wirkte wie ein befreites Durchatmen. Immer wieder gelingt es Palmeri mit gut platzierten Details die Aussagen des Messetextes zu vertiefen, etwa wenn der Chor im Credo
die Dramatik der Kreuzigung auf einem einzigen leisen Ton am Schluss (sepultus est) enden lässt und dieser dann vom Bandoneon und einer zarten Solo-Violine aufgenommen wird. Oder wenn ein
poetisch verträumtes Klavier-Solo das „Sanctus“ einleitet, das dann im vollen Tutti-Klang des Chors sakrale Pracht entfaltet. Ein Hörerlebnis, das noch lange nachschwingen wird.
Der erste Teil des Konzerts war nicht minder berührend: Mit drei Chören aus Händels „Messias“ im Originaltext zeigte der Chor professionelles Stehvermögen, so in den schier endlosen, sauber
ausgesungenen Koloraturen des „For unto us a child is born“ oder in der dramatischen Stufung, in der sich das weltbekannte „Halleluja“ aufbaut. Das ohne Pauken und Trompeten natürlich nicht
identisch wäre: Hier sorgten die drei jungen Trompeter Remi Hess, Frederik Steinhagen und Viktor Lindstedt für strahlenden Blechbläserglanz und der junge Schlagzeuger Nikolaus Steinhagen mit der
Pauke für theatralische Wucht.
Nicht genug der Highlights: Mit dem innigen „Salve Regina“, das Händel für Solosopran, drei Streicher und Orgel komponiert hat, setzte Simone Schwark die ersten funkelnden Glanzlichter. Nach dem
in jugendlicher Frische und Klarheit leuchtenden Eingangsteil, dem der freudig bewegte, in Händels opulenten Spielfiguren schwelgende Mittelteil folgte, endete das Stück mit dem fast körperlos im
Kirchenschiff schwebenden „o dulcis virgo Maria“.
Einen weiteren Mariengesang, das „Magnificat“ hat Albrecht Haaf für gemischten Chor, Glasharfe und Streicher und Sopran verfasst. Vor zwei Jahren wurde das Stück mit dem Kammerchor in der
Martinskirche mit zwei Solostimmen aufgeführt, jetzt hat er eine Version für einen Solo-Sopran mit Chor und Instrumenten nachgelegt, die an diesem Abend uraufgeführt wurde. Auch hierfür war
Simone Schwark die beste Besetzung. Und wieder faszinierte die Glasharfe, dieses „Musikinstrument“ aus unterschiedlich hoch mit Wasser gefüllten Gläsern, dem ein körperloser, sphärischer Klang
entströmte, erzeugt von den Schwingungen der Flüssigkeiten Wasser und Glas, von vier Spielern mit sanfter Hand in Bewegung gesetzt.
Haaf bindet als Komponist diesen Klangeffekt so stimmig in das gesamte Geschehen ein, dass die Glasharfe wie ein selbstverständliches Detail und nicht als Exot wirkt. Wie dieser scheinbar aus dem
Nichts kommende Ton mit den hohen Streichern kommuniziert! Wie die Lichter der Dur-Klänge leuchten! Wie die feingestrichenen Geigen-Tremoli die Zartheit und Zerbrechlichkeit dieser mystischen
Szene zeigen! Ein wunderbares Stück, das ohne falsche Sentimentalität dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes auf der Spur ist.