Lobgesang in mancherlei Form

Das "Magnificat" ist in allen Epochen der Kirchenmusik von den unterschiedlichsten Komponisten vertont worden.

(veröffentlicht am 4. Dezember 2017 in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung von Dorothee Philipp)

Der Kammerchor Müllheim führt drei Versionen des Magnificat auf. Vorne rechts Stephanie Rieber und ihr Sohn Levin als Sopran-Solisten Foto: Dorothee Philipp


MÜLLHEIM. "Magnificat anima mea – meine Seele preist den Herrn", mit diesen Worten beginnt einer der innigsten und spirituellsten Gesangstexte der Bibel, die außerhalb der Psalmen zum festen Liedkanon der Christenheit gehören. Der Lobgesang, den Maria anstimmte, nachdem der Engel ihr die bevorstehende Geburt des Erlösers verkündet hatte, ist als "Magnificat" in allen Epochen der Kirchenmusik von den unterschiedlichsten Komponisten vertont worden.

Drei Versionen davon hatte sich der Kammerchor Müllheim unter der Leitung von Albrecht Haaf für sein Konzert zum ersten Advent vorgenommen. Und gleich zu Beginn erlebte das Publikum in der vollbesetzten Martinskirche eine Uraufführung: Albrecht Haaf hat ein Magnificat für zwei Solosoprane, Glasharfe und Chor geschrieben. Eine ungewöhnliche Besetzung, in der Aufführung unterstützt durch Streicher, die den mystischen Kontext des göttlichen Wunders auf einzigartige Weise vermittelte. Am Anfang stand ein überirdisch anmutender feiner Ton, der das Publikum von allen Seiten einhüllte. Gläsern klang das, unbeschreiblich zart, man mochte kaum glauben, dass das die unscheinbaren, mit Wasser gefüllten Gläser waren, die da vorne auf einem Tischchen standen und von den Spielern mit der Hand gestrichen wurden. Nachdem das kräftige Glockengeläut von der Nachbarkirche verstummt war, konnte man sich dieser neuen Hörerfahrung noch besser hingeben.

Haaf ist ein Komponist, der Poesie und Atmosphäre in Musik setzen kann, die berührt und neue Welten öffnet. Seine Erfahrungen mit dem musikalischen Wortschatz von Mittelalter und Renaissance fließen in einen neuen Stil, den einerseits eine bestechende Transparenz und andererseits eine vielschichtige Gefühlswelt auszeichnet, in diesem Fall auch tiefe Religiosität. Der vorzüglich reagierende Chor ließ eine reiche – sicher intonierte – Harmonik aufblühen, in der die Dur-Akkorde in einem überirdischen Licht erstrahlten. Das Glanzlicht setzten die beiden Soprane, Stephanie Rieber und ihr Sohn Levin, der Mitglied bei den Freiburger Domsingknaben ist. In der relativen Kürze des Werks gelingt es Haaf, einen perfekten Spannungsbogen aufzubauen, der am Ende wieder in den faszinierenden Ton aus Glas mündet, mit dem es begonnen hat. Sein Magnificat wird sicher vielen Chören Freude machen. Einen zeitlichen und klanglichen Kontrast dazu setzte das Magnificat von Vivaldi für Solosopran, Mezzosopran, Alt, Tenor, Chor und Orchester, in dem sich der italienische Meister zu dramatischen Passagen aufschwingt, die an die Sommergewitter aus seinen "Jahreszeiten" erinnern. Das Orchester unterstrich die barocke Pracht, die in ihrer harmonischen Üppigkeit teilweise schon wie ein Vorgriff auf die Romantik anmutet. So bei den chromatischen Abwärtslinien des "et misericoerdia", das die sich hernieder neigende göttliche Barmherzigkeit ausdrucksvoll beschreibt.
Bei der komplizierten Polyphonie des "et in saecula" kamen die Choreinsätze präzise und voll innerer Spannung. Noch pompöser geht es musikalisch zu im Magnificat des britischen Erfolgskomponisten John Rutter aus dem Jahr 1990. Er interpretiert das Geschehen der Marienverkündigung aus dem Blickwinkel unserer Zeit, der die gesammelte Pracht aller Kunstwerke, die jemals zu diesem Thema gemalt oder komponiert wurden, quasi als Konnotation mit sich führt. Eine weit ausgreifende theatralische Gestik und knallige Effekte sind da inbegriffen. Schon das aufspringende Motiv des ersten Wortes ist nicht das fassungslose Staunen der Maria über das angekündigte Wunder, sondern ein regelrechter Triumphgesang, unterstrichen mit Trommelwirbeln, Schellen und Glockenspiel. Chor und Orchester agierten hier mit kraftvollem Temperament. Den Solopart Sopran teilten sich Angelika Wesener-Schopka sowie Stephanie und Levin Rieber, ein genialer Kunstgriff, der das Soloregister in verschiedenen Timbres leuchten ließ. Rutters Magnificat hat nicht nur klanglich, sondern auch vom Umfang her symphonische Dimensionen, die von allen Beteiligten einiges Stehvermögen verlangen. Der Beifall wollte nicht enden, als Zugabe durfte das Publikum dann nochmals den letzten Teil des Satzes "Gloria Patri" hören.

Besetzung: Im Konzert unter der Leitung von Albrecht Haaf wirkten mit: Stephanie Rieber, Levin Rieber und Angelika Wesener-Schopka (Sopran), Dianne Rübsamen (Mezzosopran), Ansgar Vöhringer (Tenor), Jutta Haaf, Simone Sobanek, Franco Coali, Tilo Wachter (Glasharfe), Hannah Klingler (Orgel), der Kammerchor Müllheim und ein symphonisches Orchester aus Freiburg und Müllheim